PIWI-Rebsorten Alle gängigen, bei uns und anderswo angebauten Rebsorten sind biologisch gesehen lebende Fossilien. Keine dieser Kulturreben kann ohne den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln die zur Weinbereitung notwendigen, gesunden Trauben hervorbringen. Sie alle ähneln einem Komapatienten, der sozusagen nur mit Hilfe einer Infusion die notwendigen Abwehrkräfte für sein Immunsystem aufbringen kann, um am Leben zu bleiben. Wird die Infusion, sprich die gezielte Bekämpfung der Pilzkrankheiten, abgesetzt, stirbt der Patient. Meine Weine sind aus so genannten pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (kurz PIWIS) gekeltert. Sie haben den großen Vorteil, dass sie aufgrund ihrer Resistenz gegenüber den Pilzkrankheiten keine oder je nach Standort und klimatischen Bedingungen einen nur sehr eingeschränkten Bedarf an Pflanzenschutzmitteln brauchen. Dies kommt nicht nur dem Wein, Ihnen oder mir zugute, sondern natürlich auch dem Weinberg. Darüber hinaus gewinnt gerade der Bioweinbau mit den PIWI-Sorten an Glaubwürdigkeit, da viele Verbraucher auch das Ausbringen von im Bioweinbau erlaubten Spritzmitteln häufig mit Skepsis verfolgen.

Mit den PIWIS - diese Rebsorten haben nichts mit gentechnisch erzeugten Rebsorten zu tun, sondern sind aus klassischen Kreuzungszüchtungen hervorgegangen - konnte die Resistenz amerikanischer oder asiatischer Wildarten mit den sensorischen Qualitäten unserer Europäersorten kombiniert werden. Diese Wildreben leben nämlich in ihrer ursprünglichen Heimat seit Millionen von Jahren in Symbiose mit den Pilzkrankheiten und konnten deshalb im Laufe der Evolutionsgeschichte Resistenzen entwickeln. Unsere in dieser Hinsicht ahnungslosen Kulturreben hingegen wurden mit diesen Pilzkrankheiten erst mit deren Einschleppung in der zweiten Hälfte des 19 Jahrhunderts konfrontiert und waren ihnen damit hoffnungslos ausgeliefert. Seitdem müssen wir also unsere Kulturreben mit Pflanzenschutzmitteln behandeln. Mit den PIWIS findet also eine Vereinigung von Pilzresistenz und Weinqualität statt. Viele PIWI-Weine gelten mittlerweile auch als Kult- und Spezialitätenweine, die unglaubliche Qualitätspotentiale aufweisen..

Die Geschichte der PIWIS fand schon Ende des 19 Jhdts. zunächst vor allem in Frankreich als Folge des Auftretens von eben jenen Pilzkrankheiten und der Reblaus statt. Nach einer anfänglichen Euphorie wurde ihr Dasein durch schwierige Jahre, den Weltkriegen sowie großen Produktionsmengen mit einer unbefriedigenden Kellerwirtschaft erschwert. Die alten PIWIS der ersten Generation, die wohl mit unserer sensorischen Sensibilität kaum als trinkbar bezeichnet werden könnten, wurde schon in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts verboten und in den 50ern begann der Staat die Freiheit der Sortenwahl auch bei viel versprechenden PIWIS weiter einzuschränken. In Deutschland wurden sie während der Nazizeit aufgrund ihres nichtarischen Ursprungs verboten. Hinzu kam die Propaganda der Gesundheitsgefährdung, da man den Trinkern von PIWIS prophezeite Geisteskrank zu werden.

Doch der Druck auf die PIWI-Winzer und Züchter nahm zu. Es wurden Rodungsprämien auf der einen und Sanktionen mit Geldstrafen und Gefängnis auf der anderen Seite verhängt. Ende der 70er mussten in Frankreich alle PIWIS gerodet sein, was aber einige rebellische Departements nicht davon abhielt, sich den staatlichen Verordnungen zu widersetzen. Heutzutage werden diese letzten Inseln alter PIWIS als erhaltenswerte Kulturgüter betrachtet und sind zu Pilgerorten für die Fachwelt geworden. Hinter dem Verdrängungsmechanismus standen also in erster Linie politische und wirtschaftliche Kräfte wie z.B die etablierten Weinbauregionen, die um ihren guten Ruf bangten, sowie natürlich die chemische Industrie, die in den PIWIS ihre natürlichsten Gegner sah. Während die PIWIS heutzutage in Frankreich als weitgehend tabuisiert gelten, werden im übrigen Europa, vor allem in Deutschland, sowie in der Deutsch- und Westschweiz, Österreich, Ungarn und Südtirol Kreuzungszüchtungen betrieben. Die Entwicklung einer neuen PIWI-Rebsorte dauert 15-30 Jahre.


Bleibt festzuhalten,dass das Gros dieser PIWIS trotz ihrer sensorischen Qualitäten und der Tatsache nahezu ohne Pflanzenschutz auszukommen in Deutschland aufgrund politischer Kleingeisterei nicht für den freien Anbau zugelassen sind. Kurzum: Dies sind Nackte Weine aus verbotenen Früchten.


Der Leidensweg einer pilzwiderstandsfähigen Rebsorte. Wenn sich die Freiburger Studentinnen wieder einmal Ende Mai bis Ende Juni darüber wundern, dass das hiesige Weinbauinstitut in Zeitungsannoncen um ihre Hilfe beim Kastrieren bittet, dann basiert das in der Regel auf die unspektakuläre Arbeit im Rahmen einer klassischen Kreuzungszüchtung mit dem Ziel pilzwiderstandsfähige Rebsorten zu gewinnen. Das Kastrieren der Muttersorte verhindert dabei die Selbstbestäubung, weshalb diese mit einer gewünschten Vatersorte sozusagen auf künstlichem Wege bestäubt werden kann. Eine erfolgreiche PIWI-Sorte wird dabei mit zig verschiedenen uns bekannten, unbekannten, alten, neuen, pilzanfälligen sowie amerikanischen oder asiatischen Wildarten gekreuzt, je nach dem auf welche Leistungsmerkmale besonderes Augenmerk gelegt wird. Die so gewonnenen Sämlinge werden anschließend solch unvorstellbar quälenden Prozeduren ausgesetzt, die jeden Pflanzenfreund schaudern lassen. In Gewächshäusern werden diese wochenlang auf ihre Resistenzeigenschaften hin geprüft, indem sie dort gezielt mit den furchterregendsten Pilzkrankheiten infiziert werden, die die Weinwelt seit deren Auftreten in der zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Schach halten. 97% sämtlicher Sämlinge halten dieser Folter nicht stand. Danach müssen sich die dem Sensenmann von der Schippe gesprungenen jahrelang im Freiland bewähren. Ab jetzt zählen aber nicht mehr alleine ihre Resistenzeigenschaften, sondern sie müssen sich auch hinsichtlich des Wuchses, Blüte- und Reifeverlaufes sowie natürlich des Ertrages und ihrer eventuellen Anfälligkeit für andere Krankheitserreger bewähren. Nicht zuletzt werden jetzt auch bestimmte für die spätere Weinbereitung unabdingbare Eigenschaften offensichtlich, wie z.B. ihr natürlicher Zucker- oder Säuregehalt. Und als ob diese Auslesekriterien nicht schon streng genug gewesen wären, stehen sie nun vor dem ultimativ schwierigsten Test, der sensorischen Bewertung. Gleich einem Inquisitionstribunal wird eine Gruppe von Verkostern die Weinqualität der Vorgeführten beurteilen, wobei Geruchs- und Geschmackseigenschaften jener der traditionellen Sorten mindestens standhalten müssen, besser noch übertreffen sollten. Sozusagen 99% aller Verhörten verschwinden dabei auf Nimmerwiedersehen und nur 1% wird in die Freiheit entlassen, d.h. sie werden als praxistauglich erachtet und zunächst für den Versuchsanbau zugelassen. Vom Kastrieren bis jetzt sind 20-30 Jahre vergangen und erst die nächsten Jahre werden darüber entscheiden, ob sich diese Sorte dann letztendlich am Markt durchsetzt, bzw. ob sie vom Winzer und vor allem vom Verbraucher angenommen wird. Schon unzählige PIWIS, die sich sicher im heimischen Weinberg gefühlt haben, teilten am Schluss doch noch das Schicksal ihrer verschollenen Brüder und Schwestern.